Tag Archiv für Bergbauschutzgebiet

Großgrimma vor der Umsiedlung

Bis zum Ende der DDR liegt Großgrimma in einem sog. “Bergbauschutzgebiet”. Das bedeutet, dass das Gebiet im und um den Ort bereits für den Braunkohlenbergbau vorgesehen ist und deshalb von Seiten der öffentlichen Verwaltung nicht mehr in die Infrastruktur investiert wird. Das Straßennetz, die Abwasserentsorgung und die Energieversorgung sind Ende der 1980er Jahre marode, viele Gehöfte sind bereits stillgelegt und auch die Wohnsubstanz ist sanierungsbedürftig.

Das kulturelle und soziale Leben ist jedoch weiterhin intakt. In Großgrimma gibt es einen aktiven Sportverein, einen Kindergarten, eine Schule und Geschäfte für den täglichen Konsumbedarf.

Zur Gemeinde Großgrimma gehören auch die Orte Grunau, Domsen, Mödnitz, Bösau und Deumen.

Sabine M., die spätere Bürgermeisterin von Großgrimma, lebt mit ihrer Familie im Ortsteil Mödnitz und beschreibt ihre damalige Wohnung.

 

Für die damaligen Verhältnisse sehr schön

Aufgrund der materiellen Verhältnisse zu DDR-Zeiten helfen sich die Nachbarn gegenseitig in einer Art Solidargemeinschaft.

 

Auf nachbarschaftliche Hilfe angewiesen

Der politische Umbruch im Zuge der Friedlichen Revolution 1989/90 bringt nicht nur das SED-System zu Fall und ermöglicht die Wiedervereinigung, sondern ändert auch das Gemeindeleben von Großgrimma nachhaltig. Die kommunale Selbstverwaltung tritt 1990 in Kraft und die Gemeinde Großgrimma kann nun erstmals selbst entscheiden, wie sie ihre weitere Zukunft gestalten will. Sabine M. wird die erste demokratisch gewählte Bürgermeisterin nach dem Ende der DDR. Gemeinsam mit dem Gemeinderat wägt sie angesichts der maroden Infrastruktur, der Abwanderung der jungen Generation und der hohen Arbeitslosigkeit in der Gemeinde zwei Optionen für Großgrimma ab: Revitalisierung oder Umsiedlung.

 

Ausgangslage

1992 spricht sich der Gemeinderat Großgrimmas für eine Umsiedlung aus. Innerhalb der Bürgerschaft gibt es unterschiedliche Meinungen dazu. Viele der von Umsiedlung Betroffenen arbeiten in der Braunkohlenindustrie und ihre Arbeitsplätze hängen vom Aufschluss weiterer Tagebaue und damit auch von der Aufgabe von Ortschaften ab. Gleichzeitig wollen sie ihr bisheriges Zuhause nicht verlieren und die Landwirte fürchten den Wegfall ihrer Existenzgrundlage.

 

Zwischen Angst und Hoffnung

Im Anschluss werden zeitlich versetzt zwei Bürgerbefragungen durchgeführt – zum einen vom Bergbauunternehmen MIBRAG und zum anderen vom Planungsbüro für die Umsiedlung. Damit soll geprüft werden, ob der Gemeinderatsbeschluss zur Umsiedlung auch das Votum der Einwohner hat.

 

Zwei Befragungen

(Text: cs, Interiew: asm, jw)

Dobergast – Ein Dorf zieht um

Dobergast befand sich im Süden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt, ungefähr 26 km südwestlich von Leipzig. Durch die Erhebung des Erzgebirges und des Vogtlandes war dort vor Millionen von Jahren ein Becken entstanden, in dem sich organisches Material ablagerte. Dieses Becken wurde von Sedimenten überlagert, aus denen sich dann später die Braunkohle bildete und schließlich enormen Einfluss auf das Schicksal des Ortes Dobergast hatte. 1984 musste das Dorf dem Tagebau weichen und die Bevölkerung des Ortes wurde umgesiedelt. Dobergast war nun menschenleer und 881 Jahre Ortsgeschichte fanden ihr Ende.

Für die Dorfbewohner kam der Umzug nicht überraschend. Schon 1950 kursierten erste Gerüchte um einen möglichen Abriss des Ortes. Damals, als zunächst Pirkau und dann später Mutschau, Döbris und Köttichau der Kohle weichen mussten, wusste man, dass auch Dobergast irgendwann von der Landkarte verschwinden würde.

Schon lange vor der Umsiedlung der Dorfbewohner war Dobergast lange Zeit sog. „Bergbauschutzgebiet“. Das heißt, dass die SED-Kreisverwaltung und regionalen Behörden kaum noch in die Infrastruktur des Ortes und die Erhaltung des Wohnraums investierten, da klar war, dass das Dorf der Braunkohlenindustrie in absehbarer Zeit weichen sollte. Wohnungsfenster schlossen nicht mehr richtig, das Mauerwerk verfiel zusehends  und teilweise gab es kein fließendes Wasser. Das Wasser musste man dann mehrere Etagen hoch und wieder hinunter tragen. Deshalb fiel es nicht wenigen Menschen leicht, ihre alte Heimat hinter sich zu lassen, vor allem jungen Familien, die nun ihre eigenen vier Wände in Hohenmölsen-Nord bekamen. Für die Landwirte und die älteren Menschen aus Dobergast war es hingegen oft schwer, sich von ihren Höfen zu trennen, die ihre Familie schon seit Generationen bewohnt und bewirtschaftet hatte. Dementsprechend gab es ganz unterschiedliche Meinungen zum Abriss des Dorfes und zur Umsiedlung der Gemeinde. Die Entwicklung selbst war aber nicht mehr aufzuhalten und an Protest war angesichts der energiepolitischen Schlüsselrolle, die die SED der Braunkohle zu DDR-Zeiten zuwies, nicht zu denken.

Die ehemaligen Dobergaster fanden schließlich in Hohenmölsen eine neue Heimat. Im Norden der Kreisstadt standen ausreichende Neubauwohnungen für sie zur Verfügung. In Hohenmölsen-Nord war für 105 Haushalte des Dorfes eine neue Plattenbausiedlung errichtet worden. Bereits am 23.02.1979 zogen die ersten Mieter in den ersten fertig gestellten Wohnblock ein. Neben Wohnungen wurden auch eine Schule und ein Kindergarten gebaut, damit sich insbesondere junge Familien wohlfühlen konnten.

(am, jw & cs)

Großgrimma – Ein Dorf zieht um

Die Gemeinde Großgrimma hatte schon 40 Jahre lang den Status “Bergbauschutzgebiet“. Das bedeutet, dass kein Geld mehr in die Gemeinde investiert wurde. Die Infrastruktur des Ortes hatte darunter zu leiden. Es gab nicht einmal eine Kanalisation, das Abwasser lief in Gräben neben den Straßen entlang.

Die Mehrheit der Bevölkerung Großgrimmas war für die Umsiedlung des Ortes nach Hohenmölsen. Zwar gab es auch eine Bürgerinitiative, die sich gegen den Wegzug und die Auflösung der Ortschaft wehrte, doch die Proteste verstummten schon bald nach einer Umfrage des Gemeinderates im Jahr 1993. Dort stimmten 75 Prozent der Einwohner Großgrimmas für den Umzug und weitere 15 Prozent schlossen sich den Befürwortern ebenfalls bald an.

1994 kam es zum Abschluss des Umsiedlungsvertrages. Die Einwohner Großgrimmas sollten demnach in Hohenmölsen ihre neue Heimat finden. 1995 begannen die Bauarbeiten für ein neues Wohngebiet in Hohenmölsen-Süd. Dort sollten Eigenheime und Mietwohnungen für die Menschen aus Großgrimma entstehen. Der Umzug der Großgrimmaer Bevölkerung geschah freiwillig, sogar 10 Jahre früher als vertraglich notwendig. Der erste Spatenstich im vier Kilometer entfernten Hohenmölsen-Süd wurde von den meisten Bewohnern Großgrimmas wie eine Dorfkirmes gefeiert.

Die Gemeinde sollte und wollte zwar auch in ihrer neuen Heimat zusammen bleiben, aber keinesfalls von der Stadt Hohenmölsen isoliert sein. Es wurde deshalb u.a. ein Bürgerhaus, eine Turnhalle und ein Kindergarten für die gesamte Stadt errichtet und Straßen gebaut, auf denen man schnell in die Innenstadt Hohenmölsens kommen kann.

Drei Jahre später waren schließlich alle 800 Einwohner Großgrimmas in Hohenmölsen untergebracht und die Umsiedlung war damit abgeschlossen. Am 1. Juli 1998 wurde Großgrimma schließlich in die Stadt Hohenmölsen eingemeindet.

Die letzte Bürgermeisterin Großgrimmas war Sabine Meinhardt. Sie war maßgeblich an der Umsiedlung der Ortschaft und an den Vertragsverhandlungen beteiligt.

Während die Ortsteile Bösau, Domsen, Mödnitz und Deumen direkt nach dem Wegzug ihrer Bewohner abgetragen wurden, blieb die Siedlung in Großgrimma selbst noch einige Jahre bestehen. Die Bundeswehr nutzte die leerstehenden Gebäude für die Ausbildung ihrer Soldaten zum Kosovo-Einsatz. Erst 2006 begannen dort die Abrissarbeiten, die bis heute andauern.

Quellen:
http://www.stadt-hohenmoelsen.de

http://www.welt.de/print-welt/article660005/Grossgrimma-raeumt-den-Baggern-freiwillig-das-Feld.html

http://www.braunkohle.de/pages/mensch_in_der_braunkohle.php?page=857

http://www.focus.de/panorama/reportage/reportage-mit-dem-bagger-kommt-die-kohle_aid_154787.html
(ah & cs)